In Nordamerika, Asien, Australien und vielen europäischen Städten konnte US-Superstar Taylor Swift die Konzerte ihrer rekordbrechenden »Eras«-Tour abhalten. Fast 200.000 Fans freuten sich zu Beginn der vergangenen Woche noch, Swift in Wien zu sehen. Drei ausverkaufte Shows im Ernst-Happel-Stadion standen an. Es sollte anders kommen.
So konkret sei die Terrorgefahr seit dem Anschlag vom 2. November 2020 nicht mehr gewesen, sagt ein erfahrener Staatsschützer. Damals wurden bei einem terroristischen Amoklauf in der Innenstadt Wiens vier Menschen getötet. Alle Faktoren für die höchste Gefährdungsstufe seien in der vergangenen Woche gegeben gewesen: Es gab einen Tatplan; Stichwaffen und explosives und verätzendes Material; einen Komplizen, der im Happel-Stadion arbeitete; sowie einen Treueschwur an den IS, der online verbreitet worden war.
Dass der Plot aufgedeckt und ein Massaker verhindert wurde, sorgte zunächst für eine breite Brust bei den Sicherheitsbehörden und der Kanzlerpartei ÖVP, die Innen- und Verteidigungsministerium leitet. Unter dem Eindruck der geplanten Gewalttat stimmten nun sogar die Grünen zu, eine Ausweitung der Überwachungsbefugnisse zumindest zu prüfen.
Doch nach und nach mehren sich die Fragezeichen rund um den geplanten Anschlag. Zunächst wäre da die prinzipielle Feststellung, dass Deutschland und Frankreich in der Lage sind, Großveranstaltungen wie die Fußball-EM oder Olympia ohne eine einzige Absage durchzuführen – obwohl die dschihadistische Gefahr in den beiden Ländern wohl nicht geringer als in Österreich ist.
Für Skepsis sorgt auch die Verve, mit der die ÖVP die Terrorlage politisch instrumentalisiert. So dauerte es nicht lange, bis Innenminister Gerhard Karner auf der Pressekonferenz über die Konzertabsage eine Schuldzuweisung in Richtung FPÖ brachte, deren Parteichef Herbert Kickl von 2017 bis 2019 Innenminister gewesen ist. Wenig später bezeichnete ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker sogar alle anderen Parteien als »Allianz der Gefährder«, weil diese nicht sofort grünes Licht für die Einführung eines Bundestrojaners geben wollten.
Aber auch zwischen den ÖVP-geführten Ministerien gibt es Spannungen. So bewarb Kanzler Karl Nehammer deutlich die Leistung des militärischen Heeresnachrichtenamts, das wichtige Hinweise aus dem Ausland erhalten und für den polizeilichen Staatsschutz aufbereitet habe. Dort heißt es, diese Informationen habe man selbst gehabt, und der militärische Nachrichtendienst habe nicht mehr gemacht, als die Meldung der Partnerdienste auf Deutsch zu übersetzen.
Den familieneigenen VW Beetle wollte er mit einem Blaulicht als Polizeiauto tarnen
Und auch inhaltlich mehren sich Zweifel, ob die vom Veranstalter und Swifts Management entschiedene Konzertabsage richtig war. Zumindest derzeit wirkt es so, als kämpfe der mutmaßliche Attentäter Beran A. mit erheblichen psychischen Problemen. Als »psychotisch« bezeichnete ihn ein Ermittler gar. Ein kaltblütiger, vom IS angeleiteter Kämpfer wie etwa die Terroristen im Pariser Bataclan ist A. jedenfalls nicht.
A. ließ sich widerstandslos festnehmen, konnte offenbar keine Schusswaffe organisieren und experimentierte angeblich im Garten des Elternhauses im niederösterreichischen Ternitz mit Substanzen, um eine Bombe zu bauen. Den familieneigenen VW Beetle wollte er mit einem Blaulicht als Polizeiauto tarnen. Seinen Treueschwur auf den IS stellte er schon vor Wochen online, nicht, wie üblich, unmittelbar vor einem Anschlag. Wie ein ausgereifter Plan wirkt das kaum.
Gefährlich wäre es wohl geworden, wenn A. ungehindert zum Happel-Stadion gelangt wäre. Allerdings spricht viel dafür, dass mit seiner Festnahme die Lage entschärft wurde, das Konzert also hätte stattfinden können. Stattdessen wird Wien nun weltweit mit islamistischem Terror in Verbindung gebracht.
Die große politische Frage ist, wer im anstehenden Nationalratswahlkampf von der Sicherheitsdebatte profitieren kann. Die ÖVP hofft, die Zeit von Herbert Kickl als Innenminister als Gefährdung der nationalen Sicherheit charakterisieren zu können. Die anderen Parteien verweisen darauf, dass die ÖVP, abgesehen von der anderthalbjährigen Kickl-Unterbrechung, seit 24 Jahren das Innenministerium führt. Es sieht jedenfalls so aus, als würde der vereitelte Anschlag Österreich bis zur Wahl am 29. September beschäftigen.
Social-Media-Moment der Woche:
Nach den Konzertabsagen wurde ganz Wien zu einem Swift-Festival. Hauptplatz der Swift-Stadt war die Corneliusgasse im sechsten Bezirk, auch wenn Swift in ihrem Hit »Cornelius Street« wohl an eine andere Adresse gedacht hat. Nichtsdestoweniger versammelten sich dort Hunderte Fans, um den Popstar zu feiern.
Greetings from Cornelia Street in Vienna, where the Taylor Swift shows have been canceled — and it’s packed with people trading bracelets and singing songs. pic.twitter.com/7fmZP8XOqh
— Nicole Auerbach (@NicoleAuerbach) August 8, 2024
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Mit freundlichen Grüßen
Ihr Fabian Schmid, leitender Redakteur DER STANDARD
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